Im Schatten der Legende: Die Suche nach Erwin Komendas Erbe


Ein Versprechen für die Wahrheit

"Ich kann mich noch gut an meine Kindheit erinnern, als meine Mutter und ich durch die Straßen liefen und ein Porsche an uns vorbeifuhr, jenes Auto, von dem mir gesagt wurde, es ist das Auto deines Opas, er hat die Form gestaltet. In diesem Moment spürte ich eine Mischung aus Freude und Schmerz, die ich nicht ganz erklären konnte Ich lebte mit diesem Schmerz, der immer bewusster wurde, den ich jedoch verdrängte und nicht weiter hinterfragte. Es war ein Schmerz, der begleitete mich stets im Hintergrund. Ich erklärte es mir damals, da wir als Kinder kaum über die Leistungen unseres Großvaters sprachen, weil man uns oft nicht glaubte oder uns sagte, dass wir, wenn das so gewesen wäre, ja reicher sein müssten, um solche Behauptungen aufstellen zu können. Das Thema wurde zu einer ungesagten Wahrheit in unserer Familie, und so schwiegen wir. Wir wurden gelehrt, dass man sich nicht mit fremden Federn schmückt, und so behielten wir die Leistungen unseres Großvaters oft für uns. Doch dieser Schmerz und dieses Geheimnis in meinem Herzen ließen mich nie ganz los. Ich spürte eine innere Unruhe und das Gefühl, dass es irgendwann an der Zeit sein musste, sich diesem Schmerz zu stellen."

 

Im Laufe der Jahre hatte ich mich anderen Aspekten meines Lebens gewidmet. Mein Medizinstudium und meine praktische Ausbildung als Ärztin waren wichtige Etappen meiner persönlichen und beruflichen Entwicklung. Doch während meiner Elternzeit, als ich vorübergehend meinen beruflichen Werdegang unterbrach, spürte ich eine stärkere Verbindung zu meiner Familiengeschichte und vor allem zu meinem Großvater Erwin Komenda.

 

Es war eine Zeit der Reflexion und des inneren Wachstums. Tief in meinem Inneren lag ein Gefühl der Verbundenheit zu meinem Großvater, das durch die Freude und den Schmerz, die noch immer in mir spürbar waren, bestätigt wurde. Ich fühlte mich dazu berufen, seinem Leben näher zu kommen.

 

So beschlossen meine Mutter und ich schließlich, nach Stuttgart zu reisen, um unsere familiären Wurzeln zu erkunden. Es war eine Reise, auf die ich mich lange vorbereitet hatte und in der ich mir vorgestellt hatte, wie es sein würde, an den Orten unserer Vergangenheit zu stehen. Ich hatte eine gewisse Erwartungshaltung, dass uns bei Porsche der rote Teppich ausgerollt werden würde, angesichts der bedeutsamen Beiträge, die Erwin Komenda für das Unternehmen geleistet hatte.

 

Als wir die Strohberggasse betraten und das Mehrfamilienhaus mit dem Balkon im Hof sahen, wurden wir von einer Welle der Emotionen überwältigt. Meine Mutter erinnerte sich an ihre Kindheit und erzählte mir von den schwierigen Zeiten nach dem Zweiten Weltkriegs, als die Bombenschäden in Stuttgart noch allgegenwärtig waren. Wir wanderten durch die Straßen und sie zeigte mir die Plätze, an denen sie gespielt hatte, die Schule, die sie besucht hatte, und den kleinen Balkon, auf dem sie manchmal saß. Es war eine Reise voller Erinnerungen und tiefer Verbundenheit zu unseren familiären Wurzeln. Besonders schön war es, meinen kleinen Sohn dabei zu haben, der einen Hauch unserer Familiengeschichte miterleben konnte.

 

Nach diesem emotionalen Start begaben wir uns zum Porsche-Gelände. Im Porsche Archiv wurden wir von Klaus Parr empfangen, der uns mit großer Begeisterung und Ehrfurcht eine Reihe von chronologisch geordneten Skizzenbüchern präsentierte, die das beeindruckende Werk meines Großvaters zeigten. Er betonte die unbestreitbare Bedeutung von Erwin Komendas Beitrag für das Unternehmen Porsche. Es war ein Moment der Bestätigung, der uns Hoffnung gab. Herr Parr  präsentierte uns eine Reihe von chronologisch geordneten Skizzenbüchern, die das beeindruckende Werk meines Großvaters Erwin Komenda zeigten. Er betonte, dass der Name Porsche ohne Komenda nicht denkbar wäre, denn Komendas Beitrag hatte das Unternehmen zu dem gemacht, was es heute ist.

 

Nach unserem Besuch im Porsche Archiv begaben wir uns zum Porsche Museum. Doch hier wurde unsere Erwartungshaltung jäh enttäuscht. Sowohl meine Mutter als auch ich waren regelrecht schockiert und fühlten uns wie vom Himmel gefallen. Eine gewisse Illusion platzte förmlich. Als wir vor dem ersten Porsche 356 standen, dem Ur-Original des legendären Sportwagens, brach meine Mutter in Tränen aus. Hinter dem Fahrzeug befand sich ein Foto, auf dem Ferdinand und Ferry Porsche in Lebensgröße neben dem vor uns stehenden Wagen in Gmünd abgebildet waren und als die Schöpfer des Porsche 356 tituliert wurden. Meine Mutter zeigte auf das Foto und sagte mit gebrochener Stimme: "Schau, da sieht man noch die Schuhe und die Spitze des Mantels meines Vaters. Sie haben ihn vom Foto weggeschnitten, und nirgends hier wird er erwähnt." In diesem Moment wurde mir schmerzhaft bewusst, dass mein Großvater Erwin Komenda nicht die ihm gebührende Anerkennung erhielt.

 

Der Moment im Porsche Museum, als meine Mutter vor dem Porsche 356 stand und die fehlende Anerkennung Erwin Komenda realisierte, war von tiefer Trauer geprägt. Die Tatsache, dass auf dem Foto Ferdinand und Ferry Porsche als die Schöpfer des Wagens präsentiert wurden, während Erwin Komenda als wesentlicher Beitraggeber einfach weggelassen wurde, traf uns wie ein Schlag ins Gesicht. In diesem Moment wurde mir schmerzhaft bewusst, dass die Geschichte meines Großvaters verzerrt und sein Beitrag nicht angemessen gewürdigt wurde.

Die Tränen meiner Mutter und ihre gebrochene Stimme hallten in meinen Ohren wider. Ich spürte eine Mischung aus unendlicher Traurigkeit, vergleichbar mit dem Schmerz meiner Kindheit, Enttäuschung und Entschlossenheit. Ich musste etwas unternehmen, um diese Situation zu ändern. Ich gab meiner Mutter ein Versprechen, das meine weitere Zukunft prägen sollte. Mit einer tiefen Überzeugung sagte ich ihr, dass ich mich um diese Angelegenheit kümmern würde. Ich wollte alles menschenmögliche tun, um die Geschichte meines Großvaters zu enthüllen und seinen Platz in der Automobilgeschichte sicherzustellen. Es war ein Versprechen, das aus meiner innersten Überzeugung und meinem tiefen Respekt für meinen Großvater geboren wurde.

 

Dieses Versprechen sollte zu einer treibenden Kraft werden. In den folgenden Jahren begann ich eine intensive Recherche. Ich studierte die Geschichte des Porsche-Konzerns, tauchte in Archive ein, durchforstete Bücher und Unterlagen. Ich interviewte ehemalige Kollegen meines Großvaters, Designer und Automobilhistoriker. Ich bereiste verschiedene Länder, um jedes noch so kleine Detail über Erwin Komendas Leben und Werk zu sammeln. Die Reise war nicht einfach. Ich stieß neben Wohlwollen, Ehrfurcht, Dankbarkeit und Anerkennung auch auf Hindernisse, auf Widerstand und Ablehnung, etwa als mir Porsche die Unterstützung verweigerte und mir im selben Atemzug Hausverbot erteilte. Doch ich ließ mich nicht entmutigen, gerade durch jenen Rückschlag wurde meine Entschlossenheit die historische Wahrheit aufzudecken und die Bedeutung von Erwin Komendas Beitrag zum Erfolg des Porsche-Konzerns hervorzuheben, größer.

 

In "Im Schatten der Legende: Die Suche nach Erwin Komendas Erbe" nehme ich euch mit auf diese Reise, in der ich mich gegen die Übermacht des Porsche-Konzerns stellte, um die Urheberschaft meines Großvaters zu beweisen und seinen Platz in der Geschichte des Automobilbaus zu sichern. Es ist die Geschichte eines David-gegen-Goliath-Kampfes, der von Emotionen, Enttäuschungen und Opfern geprägt war, aber auch von unerschütterlichem Glauben und der Liebe zu meinem Großvater. Begleitet mich auf dieser fesselnden Reise, in der ich mich nicht nur gegen die Schatten der Vergangenheit behaupten musste, sondern auch die Bedeutung von Kunst, Urheberschaft und persönlichem Erbe hinterfragte. Taucht ein in eine Welt voller Automobilgeschichte, Geheimnisse und Streben nach Gerechtigkeit.

Auf der Suche nach den verschollenen Spuren

Die Entdeckung des Nachlasses meines Großvaters im Dachboden seines alten Hauses war ein weiterer Anstoß für mich, seine Spuren zu verfolgen. Dokumente aus der frühen Gmündner Zeit und Fotos aus vergangenen Jahren gaben mir einen Einblick in seine Arbeit. Doch als ich erkannte, dass der Nachlass lückenhaft war und im Jahre 1949, der Übersiedlung des Unternehmens von Gmünd nach Stuttgart endete. Später erfuhr ich von meiner Mutter, dass nach dem Tode meines Großvaters alles von Porsche abgeholt worden war, auch in Weyer.

 

Der nächste Schritt war Porsche um Mithilfe zu bitten. Gemeinsam mit meinem Bruder und meiner Mutter fuhr ich erneut nach Stuttgart, in der Hoffnung, weitere Informationen im Porsche-Archiv zu finden. Doch anstatt Unterstützung zu erhalten, wurden wir mit einem Hausverbot konfrontiert. Die Ablehnung und das Verbot waren ein harter Rückschlag, der unsere Enttäuschung und Frustration widerspiegelte.

 

Ich konnte jedoch nicht aufgeben. Das Verlangen, die verschollenen Spuren meines Großvaters zu finden, trieb mich weiter an. Ich beschloss, alternative Wege einzuschlagen und weitere Nachforschungen anzustellen. Das Adressbuch meines Großvaters erwies sich als ein wertvoller Schatz, der mir Hinweise auf Freunde und Bekannte gab, die möglicherweise Informationen zu seinem Lebenswerk hatten. Ich durchforstete Archive, Telefonbücher und Suchmaschinen. Ich reiste durch Österreich und Deutschland, um ehemalige Kollegen meines Großvaters zu treffen.  Die Erinnerungen der Menschen, die in dieser Zeit gelebt haben, sind wertvolle Schätze, die oft mehr über die Geschichte verraten als

offizielle Aufzeichnungen großer Unternehmen. Ich kontaktierte Designer und Automobilhistoriker, besuchte Museen und führte unzählige Gespräche. Jedes noch so kleine Detail über Erwin Komendas Leben und Werk war wichtig für mich. Puzzleteil für Puzzleteil fügte sich zusammen, und nach und nach enthüllte sich mir die wahre Größe seines Lebenswerks.

 

Während meiner Reise in die Vergangenheit wurde mir immer klarer, wie bedeutend die Arbeit meines Großvaters für das Unternehmen Porsche war. Ich erfuhr von seiner Hingabe zu seinen Projekten, von Geheimnissen und Herausforderungen, die er meisterte. Die Zeit in Gmünd und die Entwicklung des 356 waren wichtige Stationen in seinem Schaffen, doch es gab noch mehr zu entdecken. Bücherfüllende Themen.

 

Der erste Serien-Porsche: Ferry Porsche (Mitte), sein Vater Ferdinand Porsche (rechts) und Erwin Komenda (links) 1948 vor dem 356 Nummer eins in Gmünd. Die Karosserie konstruierte Komenda.
Der erste Serien-Porsche: Ferry Porsche (Mitte), sein Vater Ferdinand Porsche (rechts) und Erwin Komenda (links) 1948 vor dem 356 Nummer eins in Gmünd. Die Karosserie konstruierte Komenda.